Photohaven Buchclub: Lee Friedlander

 

Der Photohaven im C|O Berlin – Besuch der Foto-Ausstellung „Lee Friedlander Retrospektive“

 

Das C|O Berlin ist ein Ausstellungshaus für Fotografie und visuelle Medien. Als gemeinnützige Stiftung präsentiert C|O Berlin Werke renommierter Künstler*innen, fördert junge Talente und lädt zu Entdeckungsreisen durch unsere Bildkultur ein.

 

Die inzwischen beendete Fotoausstellung „Lee Friedlander Retrospektive“ hat uns im November 2021 in ihren Bann gezogen. Sie bot einen vollständigen, chronologischen Überblick über das künstlerisches Schaffen Friedlanders. Seine Arbeiten sind in den bedeutendsten Fotosammlungen der Welt vertreten. Friedlanders Fotobücher sind längst Meilensteine des Mediums, darunter Self Portrait (1970), The American Monument (1976), Nudes (1991) und America by Car (2010).

 

 

Das Ausstellungsbuch „Lee Friedlander“ zeigt eine Vielzahl von Porträts, Selbstporträts, Familienfotos, Naturaufnahmen und Stadtansichten. Für Friedlander ist nicht der „entscheidende Moment" der Schlüssel, sondern der „entscheidende Bildausschnitt". In seinem Werk liegt das Augenmerk darauf, wie die Welt vor der Kamera zur Fotografie wird. Ein Foto in Albuquerque, New Mexico aufgenommen, ist ein gleichzeitig einfaches und komplexes Bild. Verkehrsampeln, Masten, Gebäude, Fahrzeuge:  Auf dem Foto ist nichts Spektakuläres zu sehen und doch ist es vollkommen stimmig gestaltet. Die Fülle der Elemente fügt sich zu einem komplizierten Puzzle, in dem alles perfekt passt. Wenn wir den Hund, die Ampel oder den Hydranten wegnehmen, wird das Bild unausgewogen. Das liegt daran, dass Friedlander unaufhörlich kleine Entscheidungen trifft, die er im Bild zusammenfließen lässt. Der von ihm unter vielen möglichen Optionen gewählte Bildausschnitt hebt Elemente heraus, lässt diese miteinander in eine neue Beziehung treten und gibt damit allen eine gleich hohe Bedeutung.

 

In seinen Selbstporträts verwendet er bewusst Schattenrisse und Spiegelungen und revolutioniert so ein Genre, das solche Bildkomponenten bis dato tunlichst vermeiden wollte – sie galten schlicht als Fehler. Immer wieder gelingt es Friedlander, festgesteckte Grenzen in der Fotografie zu seinen Gunsten zu verschieben.

 

Bei Friedlanders Bildkomposition steht nicht der entscheidende, fotografische Moment im Vordergrund, sondern die Konstruktion unterschiedlicher Bildebenen. Einzelne Elemente fügen sich bei Friedlander assoziativ zusammen und eröffnen so neuartige Bedeutungszusammenhänge. Ebenso facettenreich wie seine Arbeiten sind auch die Gefühle, welche sie bei den Betrachter*innen auslösen – von Erheiterung über konzentriertes Betrachten bis hin zu Unbehagen.

 

 

 

Präsentiert wird das sechs Jahrzehnte umspannende Werk Lee Friedlanders (*1934, USA): von seinen Anfängen als junger Fotograf, der Jazz-Legenden für Plattencover fotografiert, über seine ersten nicht-kommerziellen Projekte, die während ausgedehnter Roadtrips in den USA und Europa entstehen, bis hin zu seiner fotografischen Auseinandersetzung mit dem eigenen Selbst und seiner Familie. Trotz der schieren Masse an Bildern besitzen seine Fotografien in ihrer visuellen Essenz einen einzigartigen Wiedererkennungswert. Seine innovativen und raffinierten Fotografien offenbaren sowohl das Alltägliche als auch das Unerwartete des Alltags.

Lee Friedlander, Editorial RM 2020, ISBN 978-84-17975-44-9, 384 Seiten, 24 x 30 cm, Hardcover, Englisch

 

Der Katalog ist anlässlich einer Retrospektive zum Werk des Fotografen erschienen, die vom 30. September 2020 bis 10. Januar 2021 von der Fundación MAPFRE in ihren Räumlichkeiten in Madrid organisiert wurde.

 

 


rh/2021

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